
Zwangsheirat ist ein Verbrechen und demzufolge strafbar. Und doch ist sie auch in der Schweiz eine soziale Realität. Gerade in den Sommer- und Herbstferien, wenn Eltern mit ihren Kindern in die Heimatländer reisen, kommt es zu Zwangsheiraten. Die Fachstelle Zwangsheirat verzeichnete 2020 über 360 Fachberatungen, davon waren ein Drittel der Betroffenen unter 18 Jahre alt. Die Jüngsten waren Mädchen von 11 und 13 Jahren. Betroffene kommen insbesondere aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan, aber auch aus Sri Lanka, Südosteuropa, der Türkei.
Wen trifft es, was kann man tun? Darüber diskutierten
Anu Sivaganesan, Juristin, Präsidentin der Fachstelle Zwangsheirat – Kompetenzzentrum des Bundes
Ylfete Fanaj, Kantonsrätin, Sozialarbeiterin
Alexander Ott, Chef Fremdenpolizei Stadt Bern und Mitglied Runder Tisch Zwangsheirat
Zwangsheirat ist ein Verbrechen. Leider gibt es wenige Anzeigen von Betroffenen, weil die Familie die „Tat-Ausübenden“ sind. Die Ursachen sind vielfältig: Tradition, Normen der Gesellschaft, der Kultur, patriarchale Strukturen etc. Signale erkennen: Werden junge Frauen eingeschränkt im Alltag, in der Freizeit, bekommt das Thema Jungfräulichkeit ein starkes Gewicht. Mit Betroffenen ein Vertrauensverhältnis aufbauen, sie zu Anlaufstellen begleiten, ihre Kultur nicht kritisieren und nicht versuchen, selber zu helfen. Beim Runden Tisch sind alle Fachpersonen vertreten und bewerten den Fall. Fachleute müssen innert 2 Stunden erreichbar sein. Die Fachstelle berät, bespricht die rechtliche und die Gefährdungs-situation. Die Betroffenen entscheiden, wie ihnen geholfen werden soll. Wichtig sind Vertrauenspersonen in den Schulen, Betrieben, im sozialen Umfeld. Die emotionale Unterstützung ist wichtig. Der Bruch mit der Familie bedeutet Abschottung vom bisherigen Leben. Das kann eine Gefährdungssituation auslösen. Es gibt immer wieder Fälle, die das nicht schaffen. Den längsten Fall habe ich 20 Jahre lang betreut. Eine Frau aus Bosnien, die mit neuer Identität lebt und Schutzmassnahmen braucht. Wichtig ist die Sexualerziehung in den Schulen, die körperliche Selbstbestimmung und das Thema Menschenwürde. Ein Runder Tisch braucht politischen Willen und Ressourcen. Das Thema ist eine politische Notwendigkeit. Prävention für beide Geschlechter ist wichtig.
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